Text: Oliver Stöhr; Fotos: Liesi Forsthuber, Martina Staufer, Manuel Denner, Harald Pfleger, Markus Sehnal, Oliver Stöhr & Günther Wöss (15.9.2017)

Die interessantesten Nachweise macht man zuweilen zufällig und ganz ohne Vorahnung - so auch geschehen am vergangengen Wochenende, als ich spätabends den Heimweg von einer "weinseligen" Spielkartenrunde antrat. Kurz vor der Haustüre in meiner Wohnanlage in Alt-Debant nahm ich bei lauen Temperaturen einen schrill-lauten, mir in Osttirol bis dato noch nicht untergekommenen Gesang eines Insektes wahr, das ich genau nur wenige Meter entfernt ziemlich genau lokalisieren konnte. Ich aktivierte daraufhin meine Handy-Taschenlampe (wofür ein Handy alles gut ist!) und fand kurz darauf den spätabendlichen Gesangsmeister im Rampenlicht fröhlich weiterzirpend: Er entpuppte sich als singendes Weinhähnchen (Oecanthus pellucens) - passend also zum meinem abendlichen Vorprogramm! In der Nähe, nur ca. 20 m entfernt, vernahm ich noch ein weiteres singendes Weinhähnchen, welches mit dem nahen Sänger quasi um die Wette sang und die ebenfalls singenden Zwitscherschrecken (Tettigonia cantans) akustisch "verblassen" ließen ...

 

Ort des nächtlichen Weinhähnchen-Konzerts: Ein einzelner Seiden-Hartriegel (Cornus sericea) an der Einfahrt zu einer Wohnanlage in Alt-Debant (Foto: Oliver Stöhr).

Das zu den Blütengrillen (Langfühlerschrecken) gehörende Weinhähnchen ist im nicht-singenden Zustand eine recht unscheinbare Erscheinung:  Mit einer Körperlänge von ca. 15 mm und einer gelblichbraunen Körperfärbung ist es in der höherwüchsigen Vegetation (Sträucher, Hochstauden, Langgras-Brachen etc.), wo es sich bevorzugt aufhält, nicht leicht auszumachen. Der Körper ist im Gegensatz zu den anderen Grillen recht schlank und wird von den durchscheinenden Flügeln etwas überragt. Letztere dienen beim Männchen in erster Linie zur Lauterzeugung und glechzeitig als Schalltrichter, in dem sie beim Gesang nach oben gerichtet werden. Die erzeugten Töne ("drü-drü") werden dabei sehr laut vorgetragen, sind allerdings erst nach der Dämmerung bis weit in die Nacht hinein zu vernehmen. Der eindringliche Gesang dieser Art, der an mediterrane Nächte erinnert, kann u.a. auf der Schweizer Heuschreckenseite Orthoptera.ch nachgehört werden.

Singendes Männchen des Weinhähnchens (Foto: Harald Pfleger)

Oecanthus pellucens ist holomediterran verbreitet und tritt so im Mittelmeeraum verbreitet auf. Im Osten reicht die Verbreitung bis Westasien und im Norden bis Nordwestfrankreich, Belgien und Mitteldeutschland. In Österreich ist die Art im pannonisch getönten Osten sowie in der SO-Steiermark relativ verbreitet, sonst jedoch sehr selten bis fehlend. In Kärnten wurde die Art erst ab dem Jahr 2000 und zwar im Stadtgebiet von Klagenfurt nachgewiesen (Derbuch & Fries 2004). In Tirol wird das Weinhähnchen noch als Ausnahmeerscheinung eingestuft, wobei auch hier die bisherigen Einzelfunde erst in den letzten 20 Jahren getätigt wurden. Aus Nordtirol waren dabei bis dato drei und aus Osttirol gar nur zwei Nachweise im Buch "Die Heuschrecken Tirols" von Landmann & Zuna-Kratky (2016) dokumentiert; letztere stammen aus Lienz-Stadt (W. Gstader 1994) und von Mittewald (H. Deutsch 2014). In seinem Areal lebt das Weinhähnchen in ausgesprochenen Trockenlebensräumen, dazu gehören etwa Trockenrasen, Halbtrockenrasen, trocken-warme Ruderalfluren, Flugsanddünen, Industriebrachen, Bahndämme und - nomen est omen - auch Weinberge.

Weibchen des Weinhähnchens, aufgenommen in Rechnitz (Foto: Martina Staufer)

In der letzten Zeit scheint sich die Art, wohl auch bedingt durch die letzten warmen Sommer bzw. durch den Klimawandel, auszubreiten. So sind etwa in Deutschland deutliche Ausbreitungstendenzen nach Norden hin entlang der Rheinlinie feststellbar und auch die jungen Nachweise in Kärnten und Osttirol passen in dieses Szenario. Allerdings wird die Art sicher auch mit Transportmittel und Waren verschleppt und dürfte sich dann in klimatisch weniger geeigneten Gebieten noch nicht halten können. In diesem Zusammenhang kann von einer Verschleppung im Bundesland Salzburg berichtet werden, wo mein Bruder in einer in Straßwalchen erworbenen Packung ungarischer Marillen ein lebendiges Weinhähnchen fand, das er in seinem Garten freiließ - dort dürfte es vermutlich nicht lange existiert haben, zumindest war es nicht mehr zu sehen und zu hören. Es bleibt nun abzuwarten, ob sich das Weinhähnchen künftig in Osttirol einbürgern kann und uns durch seinen feinen Gesang weitere mediterrane Nächte beschert!

Nachfolgend noch weitere Fotos zu dieser Art, davor aber noch ein Dank: Für die Zurverfügungstellung der Tierfotos in diesem Beitrag wird Liesi Forsthuber, Martina Staufer, Manuel Denner, Harald Pfleger, Markus Sehnal und Günther Wöss von der ARGE Orthoptera recht herzlich gedankt!

Und noch ein wichtiger Tipp zum Schluss: Wer sich näher mit den singenden Hüpfern beschäftigen möchte, dem sei das umfangreiche und brandaktuelle Druckwerk "Die Heuschrecken Österreichs" sehr ans Herz gelegt! Informationen dazu sind im einschlägigen Internet-Forum orthoptera.at zu finden - noch bis Ende September 2017 kann man das Werk zu einem stark vergünstigen Preis subskribieren!

Gut getarntes Weinhähnchen auf einer vergilbenden Distel (Foto: Liesi Forsthuber)

Weinhähnchen am Hundsheimer Berg (Niederösterreich; Foto: Manuel Denner)

Larve des Weinhähnchens am Hundsheimer Berg (Foto: Markus Sehnal)

Weinhähnchen auf frühherbstlichem Laub (Foto: Günther Wöss)