Text & Fotos: Oliver Stöhr (16.11.2013)
Abgesehen von der regional bekannten Lienz-Rose, welche eine Zuchtform darstellt und als Symbol für Freiheit das Lienzer Wappen ziert, gibt es in Osttirol noch eine weitere Pflanze, die im Artnamen auf die Bezirkshauptstadt Osttirols hinweist. Es handelt sich um einen Vertreter aus der Familie der Schmetterlingsblütler – den Lienz-Tragant. Dieser heißt wissenschaftlich Astragalus leontinus, wobei der Artzusatz „leontinus“ sich von „Leontinum“, dem lateinischen Namen von Lienz, ableitet. Noch bemerkenswerter ist, dass diese Pflanze vom berühmten Kärntner Naturforscher F.X. Wulfen zuerst bei Lienz entdeckt und im Jahr 1781 beschreiben wurde; Lienz ist also im wissenschaftlichen Sinn der „locus typicus“ der Art. Neben diesen patriotischen Aspekten kommt dieser Pflanzenart aber auch eine hohe Naturschutzrelevanz zu, steht sie doch gegenwärtig in Österreich als „stark gefährdet“ auf der Roten Liste – Gründe also genug, um diese hierzulande kaum bekannte Pflanze kurz vorzustellen:
Es handelt sich um eine ausdauernde, niederliegende bis auf 20 cm Wuchshöhe aufsteigende Art mit unpaarig gefiederten Blättern und dichten, 10-20 blütigen Köpfchen. Die Blüten sind typische Schmetterlingsblüten bestehend aus Schiffchen, Flügel und Fahne. Farblich variieren die Blüten von purpurn über blauviolett bis hin zu weiß, die Blütezeit reicht von Juni bis August. Weltweit tritt die Art nur in den Alpen und auf der Balkanhalbinsel auf, in Österreich ist sie allein aus Nord- und Osttirol bekannt.
Ökologisch ist die Art eng eingenischt, so werden in erster Linie mager-trockene Standorte insbesondere Trockenrasen und lichte Föhren- und Lärchenwälder besiedelt. Selten kann die Art auch auf trockeneren Fließgewässeralluvionen vorkommen, wie der nachfolgende Bericht des Botanikers A. Ausserdorfer aus der Mitte des 19. Jh. belegt: „Sowohl Wulfen, welcher ihn „circa Leontinum in arenosis prope Isolam" angibt, als auch nach ihm Rauschenfels sammelten ihn auf dem Gruse am Ufer der Isel, letzterer auch noch auf der Tristacher Tratte am Ufer der Drau, in der Nähe von Lienz. Seit Dezennien aber ist dieser Astragalus bei Lienz trotz sorgfältigster Untersuchung des Gebietes nicht wieder aufgefunden worden. Dagegen kommt er in der Umgebung von Windisch-Matrei und im Thale Virgen sehr häufig vor. Man trifft ihn dort stellenweise von den Bergabhängen herab bis in das Inundationsgebiet des Isel- und des Tauernbaches, und es unterliegt wohl kaum einem Zweifel, dass die seinerzeit bei Lienz von Wulfen und Rauschenfels gesammelten Exemplare durch die Isel angeschwemmt waren.“
Portrait des Lienz-Tragantes (Astragalus leontinus)
Aufgrund des landwirtschaftlichen Strukturwandels in den letzten Jahrzehnten lässt sich heute nicht mehr an der obigen Aussage zur Häufigkeit der Art im Virgental und bei Matrei festhalten: vor allem die Trockenrasen des Gebietes wurden inzwischen teils zu Intensivgrünland umgewandelt, teils wurde auch die traditionelle extensive Nutzung aufgelassen, sodass die Trockenrasen nach und nach verbuschen. Durch den Gehölzaufwuchs werden jedoch viele seltene lichtbedürftige Krautschichtarten wie der Lienz-Tragant ausgeschattet und zum Aussterben gebracht. Heute ist daher Astragalus leontinus in Osttirol höchst selten und nur mehr von wenigen Standorten wie der Ruine Rabenstein bei Virgen bekannt; als Schirmart steht er sinnbildlich für eine ganze Reihe weiterer gefährdeter Tier- und Pflanzenarten der inneralpinen Trockenvegetation. Eine dauerhafte Erhaltung ist nur durch geeignete Pflegemaßnahmen möglich, welche ehestmöglich umzusetzen sind. Aufgrund der Tatsache, dass der Lienz-Tragant in Österreich allein im Oberinntal, im Brennergebiet und im nördlichen Osttirol vorkommt, kommt dem Land Tirol eine hohe Verantwortung zum Schutz dieser Art zu. Es wäre bedauerlich, wenn diese ehrenvolle, Lienz im Namen führende Pflanze bald nicht mehr in Osttirol zu finden wäre!
Ruine Rabenstein im Virgental mit seinen Trockenrasen (rechts unten) - einer der letzten Zufluchtsorte für den Lienz-Tragant in Tirol.
Nachtrag am 4.1.2016: Ein 2015 in den "Osttiroler Heimatblättern" erschienener Beitrag über den Lienz-Tragant kann hier eingesehen werden.