Text: Oliver Stöhr; Fotos: Oliver Stöhr & Susanne Gewolf (1.1.2016)

Die ungewöhnliche Schneearmut und Hochdruckwetterlage der letzten Wochen lassen bereits Gedanken an die ersten Frühjahrspflanzen aufkommen. Einer der ersten Frühlingsboten im Pflanzenreich wird heuer sowohl in Deutschland wie auch in Österreich als "Blume des Jahres" in das Rampenlicht gestellt: Die Arznei-Schlüsselblume (Primula veris). 

Bei dieser auch Echte Primel, Frühlings-Primel, Peterschlüssel oder Himmelsschlüssel genannten Art aus der Familie der Primelgewächse handelt es sich um eine bis 30 cm hohe ausdauernde (mehrjährige) und leicht kenntliche Pflanze. Die dem Boden rosettenartig anliegenden Blätter sind unterseits dicht graufilzig und in der Regel eilänglich geformt. Auf dem Blütenschaft sind die duftenden Blüten doldenartig und gestielt angeordnet, die Einzelblüten bestehen dabei aus einem bauchig erweiterten Kelch und dottergelben Blütenkronen, die innen am Schlund fünf orangefarbene Flecken aufweisen. Je nach Höhenlage liegt die Blütezeit zwischen April und Juni. In der Ausprägung der Blüten und Blätter ist die Art etwas variabel, aber die früher für Österreich beschriebenen Varietäten und Unterarten können nicht aufrecht erhalten werden.

Der Deutsche Name "Arznei-Schlüsselblume" ist gut gewählt, ist doch diese Art aufgrund ihrer Heilwirkung früher wie heute als Arzneipflanze in Verwendung. Sowohl die Blüten (Flores Primulae) als auch die Rhizome und Wurzeln (Radix Primulae) finden in der Volksmedizin Verwendung. Die Heilwirkung beruht primär auf der Anwesenheit von Saponinen, die auf die Schleimhäute einwirken. Extrakte aus Schlüsselblumen werden daher vor allem bei Erkältungen mit verschleimtem Husten und Schnupfen eingesetzt.

Die Arznei-Schlüsselblume dient mehreren Schmetterlingsraupen als Futterpflanze, darunter der Raupe des Schlüsselblumen-Würfelfalters (Hamearis lucina).

Ein Trupp der Arznei-Schlüsselblume in einer Magerwiese am Stronachkogel (Osttirol)

Die weltweite Verbreitung von Primula veris erstreckt sich vom östlichen Asien bis Europa mit Ausnahme des hohen Nordens. In Österreich kommt die Art in allen Bundesländern vor, wobei sie gebietsweise schon selten geworden ist. Die Verbreitung in Osttirol wird in der nachfolgenden Rasterverbreitungskarte dargestellt, die auf Daten der Floristischen Kartierung Österreichs, der neuen Tirol-Flora von A. Polatschek sowie Funddaten von O. Stöhr basiert. Die Arznei-Schlüsselblume tritt hier vom Kärntner Tor ausgehend hauptsächlich im Drau- und Iseltal auf. Im Tauern-, Virgen- und Defereggental kommt die Art nur in den vorderen (tiefer gelegenen) Talbereichen vor. Aus dem Kalser Tal, dem Tiroler Gailtal und dem Villgratental liegen keine Fundmeldungen vor, obwohl ein Vorkommen hier nicht restlos auszuschließen ist. Besiedelt werden überwiegend die unteren Hangbereiche, Hochlagen oberhalb der Waldgrenze werden in der Regel gemieden. Die vertikale Verbreitung der Art in Osttirol erstreckt sich von 660 bis 1720 m Seehöhe und reicht damit von der submontanen bis zur subalpinen Höhenstufe. Im Vergleich zu den anderen gelb blühenden Primeln weist Primula veris in Osttirol eine relativ weite Verbreitung auf und ist hier z.B. auch deutlich häufiger als die Hohe Schlüsselblume (Primula elatior), die kurioserweise im Bezirk Lienz selten anzutreffen ist. Gute Plätze, um Primula veris in Osttirol zu bewundern, sind u.a. der Stronachkogel oberhalb von Dölsach, das Lavanter Forchach, der Park von Schloss Bruck in Lienz, die "Brühl" bei Matrei oder die Ruine Rabenstein im Virgental. 

Die Arznei-Schlüsselblume ist eine Zeigerpflanze für lichte, mager-trockene Standorte und kommt insbesondere in Magergrünland vor. Seltener tritt die Art in Osttirol in trockenen Mischwäldern auf.

 

Links: Magerwiesen zählen zu den Hauptlebensräumen der Arznei-Schlüsselblume (Stronachkogel, Osttirol). Rechts: Bekannte Verbreitung der Arznei-Schlüsselblume in Osttirol (Raster-Darstellung).

Nach der aktuellen Roten Liste der gefährdeten Farn- und Blütenpflanzen Österreichs ist die Arznei-Schlüsselblume nur im Rheingebiet Vorarlbergs sowie in Nördlichen und Südöstlichen Alpenvorland gefährdet, im Alpenraum jedoch ungefährdet. Dies steht im Gegensatz zur Einstufung in der neuen Tirol-Flora von A. Polatschek (Bd. 7), die diese Pflanzenart als stark gefährdet für Osttirol einstuft. Auch wenn die letztgenannte Einschätzung etwas zu streng sein dürfte, so ist Primula veris im Bezirk Lienz keinesfalls ungefährdet, sind doch aufgrund von Stukturwandel und Intensivierung in der Landwirtschaft zweifellos auch Lebensraumverluste und Bestandesrückgänge einhergegangen. In den Talböden haben die Vorkommen, wie sie in Lienz/Peggetz oder in der Brühl bei Matrei noch zu finden sind, schon reliktären Charakter. Insofern trifft die Ausweisung dieser mancherorts stark rückläufigen Art als "Blume des Jahres" auch für Osttirol zu.

Primula veris ist in Tirol eine teilweise geschützte Pflanze. Damit ist es per Gesetz verboten, die oberirdisch wachsenden Teile dieser Art absichtlich in einer über einen Handstrauß hinausgehenden Menge zu pflücken, die unterirdisch wachsenden Teile absichtlich von ihrem Standort zu entfernen oder den Standort dieser Art so zu behandeln, dass ihr weiterer Bestand an diesem Standort unmöglich wird. Um die Bestände dieses attraktiven Frühjahrsblühers aber nachhaltig zu sichern, ist vor allem der Erhalt der Lebensräume und die Beibehaltung ihrer extensiven Nutzung (v.a. Biotopschutz von Magerwiesen- und weiden) unabdingbar. Es bleibt zu hoffen, dass die Ausweisung dieser attraktiven "Blume des Jahres" ein wenig zum Erhalt dieser artenreichen und stark bedrohten Lebensräume beiträgt!

Die Raupen des Schlüsselblumen-Würfelfalters nutzen Primula veris als Futterpflanze (Ruine Rabenstein, Osttirol)

Für anspruchsvolle und vertiefende Informationen zu dieser Pflanzenart kann auf den englischsprachigen Beitrag aus der Serie "Biological Flora of the British Isles" verwiesen werden. Ein gut lesbarer, deutscher Steckbrief der Art findet sich auf der Homepage der Loki-Schmidt-Stiftung, die auch für die Ernennung zur "Blume des Jahres 2016" verantwortlich zeichnet.